10. Juni 2010

"Neue Väter" und die alten Rollen

Es ist absolut lobenswert, dass viele Väter inzwischen an einem Punkt angekommen sind, an dem sie erkennen, dass eine lebendige und fürsorgliche Beziehung zu ihren Kindern nicht nur lästige Pflicht sein muss, sondern auch eine Bereicherung für ihr eigenes und das Leben der Kinder darstellen kann. Es ist anzunehmen, dass ein Großteil derjenigen Männer, die bereit und willens sind, im Leben ihrer Kinder eine Rolle zu spielen, dies auch tatsächlich schaffen.

Vater sein erschöpft sich dabei nicht allein im sonntäglichen Kinderwagenschieben oder im Verzicht auf Feierabendbier und Sportschau zugunsten des Spiels mit den Kindern oder der Gutenachtgeschichte. Vater sein bedeutet auch, der geschlechtsrollenstiftenden Funktion gegenüber dem Kind, also der des Vorbildes als erster, modellhafter Mann gerecht zu werden. Je nachdem, wie präsent ein Vater ist und wie sehr er mit sich selbst als Mann und Vater im Reinen ist, wird das das Verhalten seines Sohnes oder seiner Tochter im Umgang mit dem eigenen oder anderen Geschlecht in die eine oder andere Richtung beeinflussen und prägen. In der Qualität seines Umganges mit den Kindern entscheidet sich deren grundlegendes Verhältnis zu sich selbst und zu anderen Menschen. Um so mehr ist es zu begrüßen, dass immer mehr Väter gern Väter sind und innigen Kontakt mit ihren Kindern pflegen, ihre Entwicklung liebevoll begleiten und als Vertrauensperson für die Kinder verfügbar sind. Es zeigt nämlich den Kindern zusätzlich auch: So können Männer sein!

Wenn die Ehe oder Beziehung und damit die Familie weitgehend intakt ist, scheint der Wunsch, als Vater eine Rolle im Leben der Kinder zu spielen, nicht sonderlich schwer zu verwirklichen. Bei Trennung oder Scheidung des Paares hingegen sieht es anders aus.

Hier wollen Männer inzwischen ein Wort mitreden, und das natürlich auch zu Recht. Sie stellen die Selbstverständlichkeit in Frage, mit der grundsätzlich heute noch davon ausgegangen wird, dass Kinder nach einer Trennung bei der Mutter bleiben. Sie fordern für sich Mitsprache im Umgangsrecht, und zu Recht fordern sie, dass es nicht der Willkür der Mütter überlassen bleiben darf, ob sie als Väter den Kindern nahe sein dürfen oder nicht.

Väter beklagen damit allerdings auch einen Zustand, von dem sie selber in großem Maß profitierten und noch profitieren. Der pauschale Satz "Das Kind gehört zur Mutter" hat sie in der Vergangenheit von allerhand Verpflichtungen freigesprochen und die Mütter - alleinerziehend oder nicht - erheblich belastet. Es waren die Mütter, die für die Betreuung der Kinder einen nicht unerheblichen Teil ihres Privatlebens, ihrer Wünsche und nicht zuletzt ihrer Berufsaussichten zu opfern hatten. Die Schlagzeile "Alleinerziehender Vater verliert den Job, weil er für seine Tochter keinen Betreuungsplatz findet" war einem Väterverein eine ausdrückliche Erwähnung wert. Dabei erlebte der Vater nur, was für alleinerziehende Mütter im Grunde Gang und Gäbe ist: Schlechtere Jobchancen mit Kind, schlechte Betreuungsmöglichkeiten, Alleingelassensein mit dem gesamten Management rund ums Überleben im Alltag, um das Kind und die eigenen Bedürfnisse.

Zu fragen wäre nun, ob die Väter auch tatsächlich bereit wären, die Verpflichtungen und Belastungen zu tragen, wenn ein Richter spricht: "Das Kind gehört zum Vater!"

Von der Warte eines voll berufstätigen Vaters aus, der sein Kind an den Wochenenden sehen will, lässt sich sehr leicht lamentieren. Ein Zimmer für Junior lässt sich leichter neu einrichten als ein ganzes Leben. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2007 nur 1% der 29 Millionen deutschen Männer alleinerziehende Väter. Diese Statistik erfasst leider nicht ihre Gründe. Wollten oder durften es nicht mehr sein?

Es drängt sich mir unweigerlich die Frage auf, wie wohl die Beziehung und damit verbunden die Aufgabenteilung des Elternpaares vor der Trennung ausgesehen haben. 66% der deutschen Männer betreuten laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2007 keine Kinder im Haushalt. Nur 25% der Männer zögen in einer Ehe, einer Lebensgemeinschaft oder als allein erziehender Vater mindestens ein Kind unter 18 Jahren groß. Wo sind also die Männer, die so gern Väter wären schon während der Ehe und Beziehung?

Natürlich ist es einer Mutter schwer zu vermitteln, wenn ein Vater, der sich während der Ehe oder Beziehung nur sporadisch am Feierabend um sein Kind gekümmert hat, nun plötzlich nach der Scheidung einen völlig anderen Umgang einfordert. Die Präsenz des Vaters ist überaus wichtig für ein Kind, aber das ist sie auch schon vor der Scheidung.

In der althergebrachten Rollenverteilung war diese Abwesenheit des Vaters in Familien durchaus sehr spürbar. Ich selbst bin ein Kind der Siebziger, und außerhalb der ganz revolutionären Kreise war auch zu dieser Zeit immer noch Standard, dass Papa arbeiten ging, während Mama zuhause war. Auf diese Weise erlebte ich meinen Vater als in erster Linie abwesend. War er doch präsent, dann meistens zum Zwecke des Richtens und Strafens. Ich denke, unter diesen Umständen sind viele von uns groß geworden. Umso löblicher ist es, dass die Männer danach drängen, der Beziehung zu ihren Kindern eine andere Qualität zu verleihen und in erster Linie liebevoll präsent sein zu wollen. Jedoch: Je zementierter die alten Rollenvorstellungen sind, um so eher wird auch die Mutter nach wie vor die wichtigste Vertrauensperson des Kindes bleiben. Wie ausschließlich dies der Fall ist, kann jeder Mann schon vom Zeitpunkt der Geburt seines Kindes mitbestimmen dadurch, wie präsent er im Gefüge der Familie ist.

Männer, die sich schon innerhalb ihrer Beziehung intensiv um die Kinder gekümmert und einen engen, liebevollen Kontakt zu ihnen gepflegt haben, werden es auch leichter haben, den Müttern die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten im Bezug auf die Kinder zu vermitteln. Natürlich geht der jeweils andere aber im Umkehrschluss umso mehr auf die Barrikaden, je eher er vermutet, die Absichten des Gegenübers könnten möglicherweise nicht so sehr auf das Kind ausgerichtet sein, sondern eher darauf abzielen, dem Ex-Partner zu schaden.

Gilt das Interesse beider Elternteile in der Tat dem Kindeswohl, wie so oft behauptet wird, dann würden die Eltern wissen, dass es wichtiger ist, die Energie für einen echten Dialog aufzubringen, der wahrscheinlich in einem Kompromiss endet (also Abstriche und Eingeständnisse von beiden Seiten fordert), anstatt sie darauf zu verwenden, am Kind herumzuzerren.

Die Verantwortung, die Mütter an der Eskalation von Sorgerechtsstreits tragen, ist natürlich ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Aufgrund der biologischen Gegebenheiten hat die Mutter von Beginn an eine engere Bindung zum Kind als der Vater. Sie hat es ausgetragen, geboren, genährt, und das Kind sieht sich zu Beginn seines Lebens noch nicht getrennt von der Mutter, es nimmt sie auch nach der Geburt als ein Teil von sich wahr. Diese enge Symbiose aufzulösen und das Kind immer mehr loszulassen ist eine Aufgabe, die die Mutter ganz allein zu bewältigen hat, und es gibt nichts Vergleichbares, das ein Vater zu leisten hätte, auch wenn er sich natürlich später in Situationen wiederfindet, in denen Loslassen Not tut.

Einer Mutter, die in der Ehe oder Beziehung - wie es der althergebrachten Rollenvorstellung der Fall ist - immer die vorrangige Bezugsperson für das Kind war, wird sich mit dem Loslassen noch schwerer tun. In einer Scheidungssituation wird von der Mutter gefordert, die Kontrolle über das Kind abzugeben. Sie soll das Kind nun plötzlich dem Vater anzuvertrauen, ohne selbst dabei sein zu können.

Manche Mütter sind in ihrem Gefühlsleben durch die Scheidungssituation so überfordert, dass sie zumindest über das Kind und die Bindung zu ihm die Kontrolle behalten wollen. Sie klammern sich um jeden Preis an das Kind und sind in dieser Lage auch nicht bereit, Zugeständnisse an den Vater zu machen. Eine fundamentale Unsicherheit im Bezug auf den Ex-Partner, der möglicherweise ihre Gefühle verletzt oder sie betrogen hat, bringt sie unter Umständen nur noch mehr dazu, zumindest was das Kind betrifft alles genau so weiter handhaben zu wollen wie bisher. Gewohnheit vermittelt Sicherheit. Dass auch unter dieser Haltung ein Kind leiden muss und durch die ungewohnte neue Enge mit der Mutter überfordert sein kann, steht außer Frage. Deswegen ist es so wichtig, dass sich beide früheren Partner ihre eigenen Gefühle im Hinblick auf die Trennung so genau wie möglich anschauen. Nur dann besteht die Chance, dass das Beziehungsproblem nicht auf das Kind verschoben wird und die Situation durch Bewusstheit eine Lösung erfährt.

Erleichternd für beide Parteien wäre es, wenn nicht erst in der Trennungssituation mit der Überzeugungsarbeit begonnen würde, dass der Vater wirklich ein guter Vater ist. Wenn diese Erfahrung bereits in der Beziehung sowohl von der Mutter als auch von den Kindern gemacht werden konnte, dann sind die Umstände klarer, und auch eine Vermischung der Gefühlswelten ist unwahrscheinlicher. Dazu gehört aber, dass sich ein Vater von Anfang an seiner Verantwortung voll und ganz stellt und es ihm nicht erst in einer Scheidungssituation einfällt, dass er Kinder hat, um die er sich kümmern möchte. Frauen haben mit großem Erfolg in den zurückliegenden 30 bis 40 Jahren die Berufswelt für sich erobert, haben Privilegien der Männer auch für sich eingefordert und können heute zumindest zu einem gewissen Maß für sich in Anspruch nehmen, in diesen Punkten die Gleichberechtigung erreicht zu haben. Dagegen ist das bislang den Frauen zugeschriebene emotionale und fürsorgliche Feld von den Männern auch freiwillig bislang noch bemerkenswert unbeackert geblieben, sei es aus Furcht, als "Weichei" beschimpft zu werden, aus Karrieredruck, aus Unwillen, gewisse Freiheiten aufzugeben oder aus Desinteresse. Diesen Umstand können Männer durch ihr eigenes Verhalten ändern, und die Frauen müssen sie lassen, mehr noch, sie müssen sie darin bestärken und erkennen, dass darin für sie auch eine Entlastungschance liegt.

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